Samstag, 19. Dezember 2009

Die Leiden des alten S.Klaus

Klaus blätterte gedankenverloren in einem der zahlreichen Katalogen, die auf dem Küchentisch verstreut lagen, herum. So recht war er nicht bei der Sache. Stattdessen grübelte er.
Fast zweihundert Jahre waren seit dem ersten Mal vergangen, als er Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donder und Blitz vor seinen Schlitten gespannt hatte. Seitdem hatten sie gemeinsam gelebt und sich jedes Jahr aufs Neue gemeinsam in die weihnachtliche Hektik gestürzt. Geduldig waren sie dem Laufe der Sonne gefolgt und hatten während der Zeit unzählige Kinderaugen zum Leuchten gebracht.
Nun jedoch machte sich bei seinen tierischen Freunden das Alter bemerkbar und sie hatten darum gebeten, in nächster Zeit von jüngeren Artgenossen abgelöst zu werden. Selbst der kleine Rudolf mit seiner ewig entzündeten Nase, der ihm schon so oft gute Dienste in der nebligen Luft über London oder über dem versmogten Mailand geleistet hatte, klagte über sein inzwischen schlohweiß gewordenes Fell. Bereits in den vergangenen Jahren hatten die zur Erholung benötigten und immer länger werdenden Pausen dazu geführt, dass sich zahlreiche Bescherungen immer mehr verspäteten.
Das wiederum führte zu nur allzu verständlichem Ärger bei den Eltern und Großeltern, die ihrerseits beschlossen, dem Weihnachtsmann einen großen Teil der Arbeit abzunehmen. Außerdem mehrte sich der Ärger über hinterlassene rußige Fußspuren auf teurer Auslegware, die, wie ihm der Wetterwichtel erst kürzlich versichert hatte, Folge des Drecks in der Atmosphäre waren.
Doch nicht nur die mit der voranschreitenden Industrialisierung zunehmende Luftverschmutzung bereitete Klaus Sorgen sondern auch der stark zunehmende Flugverkehr mit immer größeren Flugzeugen. Zwar hatten sie einige Ausweichmanöver entwickelt, aber auch diese verlangten für ihre Ausführung gut funktionierende Reflexe und schnellstes Reaktionsvermögen - Eigenschaften, die mit dem Alter eher abnehmen.
Seine Bemühungen, geeignete Nachfolger für seine treuen Rentiere zu finden, waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Seitdem sie unter dem Schutz des WWF standen, durften seine Wichtel keine Wildtiere mehr zähmen, und die Einschränkung des Weidelandes hatte die Herden der Samen verkleinert. Diese waren nun auf jedes einzelne Tier angewiesen, um die strengen nördlichen Winter zu überleben, und konnten Klaus keines abgeben. Er sah sich gezwungen, Alternativen zu finden.
Dieser Idee kam ihm zum ersten Mal, als er sich plötzlich zwischen Wärmedämmung und Klicklaminat wiederfand statt vor dem erwarteten Kamin und nur dank seiner besonderen Fähigkeiten war es ihm gelungen, sich aus dieser Klemme zu befreien. Da die meisten Häuser und Wohnungen inzwischen über eine moderne Zentralheizung verfügten, sah sich Klaus schon seit längerem zu von der Tradition abweichenden Auftritten gezwungen.
Auch jetzt spielte er mit dem Gedanken, sich stilistisch ein wenig zu verändern. Oh nein, auf seinen wallenden weißen Bart, seine zerzausten Haare unter der roten Zipfelmütze, den roten Mantel und vor allem auf seinen Bauch würde er nicht verzichten; so weit würde er nicht gehen. Noch immer dankte er jeden Morgen beim Blick in seinen Kleiderschrank jenem unbekannten Werbedesigner, der ihm vor gar nicht so langer Zeit diese wesentlich auffälligeren Farben und den dazugehörigen gemütlichen Lebenswandel erlaubt hatte.
Inzwischen hatte sich dank der tatkräftigen Mithilfe von Eltern, Großeltern, Tanten und des Handels der Schwerpunkt seiner Aufgaben von der der Verteilung von Geschenken hin zu repräsentativen Auftritten verlagert. Eigentlich, so dachte Klaus, könnte er sich ein anderes Fortbewegungsmittel zulegen.
Wie jeder Mann dachte er da zuerst an ein Auto. Einen wunderschönen Sportwagen hatte er vor Augen. Natürlich einen roten, was denn sonst? Lässig sah er sich am Steuer sitzen. Ja, er würde die Straßen entlang brausen, schöne Musik hören – eine gute Anlage wäre ein absolutes Muss -, der Sack mit den Geschenken würde im Kofferraum ... Moment, welcher Kofferraum? Ein Sportwagen hat nichts, was diesen Namen verdiente! Also nochmal von vorn: Er würde die Straßen entlang brausen, schöne Musik hören – die gute Anlage würde den Sound kristallklar wiedergeben, einfach perfekt -, der Sack mit den Geschenken würde auf dem Rücksitze liegen ... Rücksitz? Naja, egal ... dann eben auf dem Beifahrersitz ... jedenfalls würde es Spaß machen, die Straßen entlang zu brausen, das eine oder andere Weihnachtslied mitzuträllern und sich einfach gut zu fühlen. Dann würde er lässig vorfahren, aus dem Wagen aussteigen ... okay, an dieser Stelle wurde der Tagtraum lächerlich.
Egal, wie er es drehte und wendete, als Weihnachtsmann cool und lässig oder zumindest würdevoll aus einem Sportwagen zu steigen, war einfach unmöglich.
Aber Klaus gab den Traum vom Auto nicht so schnell auf: vielleicht ein anderes Modell? In schneller Folge sah er sich in Amsterdam einen Parkplatz für seinen Geländewagen suchen, die Wichtel auf den Rücksitzen seines Vans raufen, die Stretchlimusine kam einfach nicht um die Kurven in den kleinen Gassen Wiens ... das reichte ihm. Kein Auto, er würde sich ja wohl nicht lächerlich machen. Und in Zeiten des Kampfes gegen den CO2-Ausstoß wäre dies vor allem auch das völlig falsche Signal.

Doch was dann?